02.11.2018

Sichtbeton aus zwei Blickwinkeln

Umsetzung unterschiedlicher Anforderungen

Beton ist im Hochbau der Werkstoff. Die Mischung aus Gesteinskörnung, Bindemittel und Wasser eignet sich vor allem aufgrund ihrer Festigkeitseigenschaften für verschiedene Anwendungen im Bauwesen.

Mit der Entwicklung moderner Betone ist die Betonage hoher, filigraner und eng bewehrter Bauteile möglich geworden. Darüber hinaus bieten Schalungsplatten aus Holz mit unterschiedlichen Beschichtungen eine Möglichkeit, gute Betonergebnisse zu erzielen. Vollkunststoff Platten wie alkus erzielen auch bei Einsätzen mit hoher Frequenz hervorragende Ergebnisse.

Form, Farbe, Fugen

Neben der Wahl geeigneter Werkstoffe und Arbeitsmaterialien spielt beim Thema Sichtbeton nicht zuletzt die Abstimmung aller beteiligten Parteien eine wichtige Rolle. Um bei Architekten, Auftraggebern, Planern und Bauunternehmen eine einheitliche Vorstellung zu schaffen, sind gestalterische Merkmale wie Form, Textur, Farbe, Fugen usw. vorab so genau wie möglich zu definieren.

Planbar? Aber sicher!

Mit dem Ziel, das spätere Erscheinungsbild klar zu definieren, haben internationale Verbände und Organisationen eigene Richtlinien erarbeitet, die ein einheitliches Verfahren zur Planung schaffen sollen. Der deutsche Beton und Bautechnik Verein e.V. (DBV) liefert dazu mit dem Merkblatt Sichtbeton wichtige Informationen. Ähnliche Richtlinien anderer Länder verfolgen dasselbe Ziel. Die Einteilung des DBV in vier Sichtbetonklassen bietet eine Übersicht zu Anforderungen von niedrig bis hoch sowie zu den zugehörigen Merkmalen. Bei besonderen gestalterischen Anforderungen etwa im Fassadenbau oder an repräsentativen Bauteilen empfiehlt der DBV, das gewünschte Sichtbetonergebnis anhand einer Erprobungsfläche festzulegen. So kann die herstellbare Qualität unter den tatsächlichen Rahmenbedingen der Baustelle ermittelt werden. Das technische Vorgehen bei der Herstellung wird damit nachhaltig entwickelt und abgesichert. Der entsprechende Aufwand ist dabei gerade für hochklassige Betonergebnisse zu berücksichtigen.

Kunst im Baugewerbe

Die ebenen Betonflächen glatter und einheitlicher zu gestalten, ist jedoch nicht immer das höchste Ziel. Oft setzen Architekten Sichtbeton bei der Planung neuer Bauprojekte gekonnt als gestalterisches Element ein. Die Diskussion, ob moderne Bauten damit die Grenze von Behausung zu Kunst überschreiten, sei dem Fachpublikum überlassen. Sicher ist jedoch, dass die Umsetzung der erhöhten gestalterischen Anforderungen seitens der Bauunternehmer Erfahrung und viel Fingerspitzengefühl erfordert.

Stuttgart: geschwungen und glatt

Anhand von zwei Bauvorhaben in Deutschland lassen sich unterschiedliche Ausprägungen der Sichtbetonanforderungen deutlich machen. In Stuttgart wird die technische Fakultät der Dualen Hochschule Baden Württemberg (DHBW) neu gebaut. In der Mitte des Gebäudes wirft ein Atrium sein Licht auf eine Wendeltreppe, die sich von Geschoss zu Geschoss versetzt emporschlängelt und in Sichtbeton der Klasse SB4 ausgeführt wird. Zur anspruchsvollen Geometrie kommen somit besondere Anforderungen an die Betonergebnisse hinzu. Diese sollen besonders eben sein und einen gleichmäßigen Farbton sowie minimale Arbeitsfugen aufweisen.

Berlin: gerade und matt

In Berlin entsteht mit einem neuen Bürogebäude des Suhrkamp Verlags in puncto Sichtbeton ein Pendant, dessen Anforderungen nicht unterschiedlicher sein könnten. Dominiert wird das neue Verlagshaus durch breite Fassaden aus grauem, rau geschaltem Sichtbeton, von dem zweiseitig großzügig verglaste Bürogeschosse abgehen. Die geforderten Betonergebnisse unterscheiden sich im Detail von den bekannten Sichtbetonklassen und zeichnen sich vor allem durch matte, lunkerarme Oberflächen aus.

Einhäuptig einschalen, zweiseitig ankern

Anforderungen an Schalungsstöße und Rahmenabdruck wurden beim Bau des Berliner Gebäudes vorab genauestens definiert und weisen darauf hin, dass es sich gemäß des DBV Merkblatts um besondere Sichtbetonanforderungen handelt. Die unterschiedlichen Flächen an den Seiten des L förmigen Suhrkamp Gebäudes sollten durchgängig eine Höhe von 1,80 m haben. Auch die Position der Ankerlöcher war exakt vorgegeben, um über die gesamte Höhe ein einheitliches Bild zu erzeugen. Bei diesen Flächen handelte es sich allerdings nicht um tragende Wände, sondern um reine Fassadenelemente. Diese mussten folglich einhäuptig geschalt werden. Um die gewünschten Ankerlöcher in das Sichtbetonmuster zu integrieren, wurden diese bereits bei der anfänglichen Planung des Gebäudes berücksichtigt. „Vorsorglich wurden leere Hüllrohre als Ersatz für die fehlenden Ankerstellen bauseitig in die tragenden Wände eingesetzt. Dadurch wirkte die Wand selbst gewissermaßen als Stellschalung und zweiseitiges Ankern war möglich“, erklärt MEVA Ingenieur Patrick Schmidt.

Schalung clever angepasst

„Nun passte das vorgegebene Fugenbild in Höhe und Breite aber zu keinem auf dem Markt verfügbaren Schalungssystem“, betont Schmidt mit einem Blick auf das Modell an seinem Computer. Außerdem sollte im Fugenbild der Abdruck der Rahmenschalung vermieden werden, indem die Schaltafeln bis über den Rand der Elemente hinaus aufgedoppelt werden. „Ich arbeite seit zwölf Jahren fast ausschließlich mit Schalungssystemen von MEVA, weil ich mich auf die Schalung und die kompetenten Mitarbeiter verlassen kann“, sagt Bauleiter Hartmut Matthäus. „Wenn ich also die Wahl habe, weiß ich, was ich wähle.“ Die KoHa Bauausführungen und Immobilien GmbH entschied sich für die Wandschalung StarTec und passte diese an das vorgegebene Anker- und Fugenbild an. „Die definierten Positionen der Ankerlöcher wurden erreicht, indem wir die Platten aufgebohrt haben. Die Befestigung erfolgte über die gesamte Länge mit Richtschienen“, erklärt Matthäus. „So konnte gleichzeitig gewährleistet werden, dass die Unebenheitstoleranz von 0,5  mm eingehalten wird“, fügt MEVA Ingenieur Patrick Schmidt hinzu. Die aufgebohrten alkus Vollkunststoff Platten gehen zudem nicht verloren, da sich auch große Löcher stoffgleich reparieren lassen.

Wie aus einem Guss

In Stuttgart schlängelt sich die Wendeltreppe der DHBW über die Geschosse versetzt nach oben. Daher führte kein Weg am Büro für Sonderkonstruktion von MEVA vorbei. Hier arbeitet das Team um Jochen Moosmann. Dieser erklärt, dass die detaillierte Planung vor allem Handarbeit sei. „Die Schalung besteht aus einzelnen Volumenkörpern. Diese müssen wir zuerst dreidimensional entwerfen und dann wieder zerteilen, damit jede Biegung und jeder Winkel genau zusammenpassen“, sagt Moosmann. „Zur Herstellung war es hier notwendig, eine Fuge zwischen Rampe und Brüstung einzufügen“, ergänzt sein Kollege Alexander Schmid. „Diese fügt sich gut in das Gesamtbild der Treppe ein.“

Visionen verwirklichen

Ausgeführt mit Weißbeton und nach den Vorgaben der Sichtbetonklasse SB4, wird die Treppe später aussehen wie aus einem Guss. Um gerade bei dieser hellen Färbung einen gleichmäßigen Farbton zu erzielen, empfiehlt der DBV, die Bauteilgeometrie so zu planen, dass eine einfache und zügige Betonage möglich ist. Komplizierte Bauteilgeometrien sollten vermieden werden, um Schalungsanker gleichmäßig anzuziehen. Bei einer geschwungenen Form ist dies entsprechend kompliziert. „Wir setzen die Visionen der Architekten um“, sagt Alexander Schmid. „Dabei sind wir an die vorgegebene Form gebunden und überlegen, wie sich diese in Einzelteilen am besten betonieren lässt, wie wir sie unterstützen, ankern und wieder ausschalen.“ Rampe und Brüstung der Treppe wurden daher separat geschalt. Auf die flache Schalung der Rampe wirkte nur ein geringer Frischbetondruck, sodass die Maßhaltigkeit auch ohne Anker gewährleistet war. Durch Ankerung oberhalb und unterhalb der Brüstung blieb diese ebenfalls frei von Ankerlöchern.

Die Form wahren

Da die einzelnen Treppenläufe über die Etagen hinausragen und zueinander versetzt sind (siehe Grafik), war ein ganzheitliches Konzept zur Unterstützung der einzelnen Bauteile nötig. „Wir haben mit dem Traggerüst MT 60 einige Podeste erstellt, um die Sonderschalung passgenau abzustützen“, erklärt Bernd Schwendemann, Bauleiter der Ed. Züblin AG in Stuttgart. „Die Sonderschalung ließ sich dank detaillierter Planung der einzelnen Teile dann fast genauso leicht aufbauen wie das Traggerüst selbst. Da hat MEVA wirklich ganze Arbeit geleistet.“ Die Bestandteile der Sonderschalung wurden millimetergenau geplant und anhand eines Bauplans exakt beschriftet, um den Aufbau zu erleichtern. Das Traggerüst MT 60 überzeugt wiederum serienmäßig mit leichten Teilen von maximal 15 kg, die sowohl liegend als auch stehend ohne Werkzeug montiert werden können.

Mehr als nur schwarz und weiß

In Berlin sollte die Sichtbetonfassade des Neubaus rau und lebendig erscheinen. Um dies zu erzielen, lag der Fokus nicht auf einer einheitlichen Farbgebung. Unterschiedliche Möglichkeiten wurden vorab getestet, um das gewünschte Resultat zu erzielen. Schließlich entschied man sich für eine saugende Schalhaut, die eine dunklere Oberfläche erzeugt. Durch die Aufnahme des überschüssigen Wassers entsteht gleichzeitig eine strukturierte Oberfläche, die nahezu poren- und lunkerfrei ist.

Saubere Sache

Ablagerungen und Unreinheiten verursachen Verfärbungen und Unebenheiten. Im Falle hoher Sichtbetonanforderungen wird daher für gewöhnlich die Schalhaut vor und nach jedem Einsatz gründlich gereinigt. Die Bauteile der Sonderschalung in Stuttgart wurden dank cleverer Planung zum Teil mehrfach verwendet. „Bei Beschädigung konnten wir die Elemente trotz ihrer ungewöhnlichen Form schleifen, aufbereiten und reinigen und so mehrmals einsetzen“, berichtet Bauleiter Bernd Schwendemann.

Einmaliger Einsatz

In Berlin konnte die aufgedoppelte Schalhaut der rauen Betonfassade allerdings nur einmal verwendet werden, um die definierten Anforderungen durchgängig zu erfüllen. Daher war es nicht nötig, die Schalhaut nachträglich zu reinigen. „Bei Wiederverwendung der saugenden Holzplatten wäre es zu unerwünschten Verfärbungen gekommen“, erklärt Bauleiter Matthäus. „Zum Schutz der aufwendigen Sichtbetonflächen lassen wir deshalb nach dem Ausschalen die Platte weiterhin auf dem Beton, um während des Baubetriebs vor Kratzern und Dellen zu schützen.“

Das Resultat

Die beiden Kunstwerke aus Beton können an ihren jeweiligen Standorten besichtigt werden. Die deutsche Bundeshauptstadt und die Hauptstadt Baden-Württembergs sind damit nach Abschluss der Bauarbeiten beide um ein architektonisches Meisterwerk reicher.

Projekte

1. Suhrkamp Verlagshaus, Berlin
2. Duale Hochschule Stuttgart

Architekten
1. Bundschuh Architekten
2. 3XN, Wenzel + Wenzel

Bauherr
1. Ernst G. Hachmann GmbH, Berlin
2. Bundesbau Baden Württemberg, Schwäbisch Gmünd

Bauunternehmen
1. KoHa Bauausführungen und Immobilien GmbH, Berlin
2. Ed. Züblin AG, Stuttgart

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