betonprisma 95: Demokratie

Architektur repräsentiert politische Ideen

Jede Macht braucht einen Ort

Ob Rathaus, Regierungsgebäude, Parlament oder Präsidentensitz: Am Ort, an dem Macht ausgeübt wird, begegnet der Souverän sich selbst. Dies gilt für alle Macht der Welt. Die Macht braucht einen Ort. Sie wird auch räumlich gedacht: Es ist die Rede von Hinterzimmern und Vorzimmern der Macht, vom Zugang zum Machthaber, ja auch der Anglizismus Lobby leitet sich vom lateinischen lobia, der Vorhalle des römischen Senats, ab und kehrt noch in der deutschen Laube wieder.

Wenn wir eben feststellten, dass sich der Souverän am Machtort selbst begegnet, dann gilt dies ganz besonders für die demokratisch legitimierte Macht. Sei es vor dem Schloss Bellevue, dem Bundeskanzleramt oder im bzw. vor dem Reichstagsgebäude: Es wäre ein Ausweis demokratischen Bewusstseins, wenn die Betrachter sich darüber klar würden, dass es ihr Gebäude ist. Ein Gebäude, in dem Menschen leben und arbeiten, die für eine gewisse Zeit von uns dazu beauftragt sind, dieses Land zu regieren. Es wäre ertragreich, die Bürger vor solchen Gebäuden zu befragen, was sie gerade fühlen. Käme dieses urdemokratische Bewusstsein zum Vorschein, dass diese Bauten ja uns gehören? Oder nur der alte Untertanengeist – „Ach ja, die da oben“? Aber vielleicht auch ein drittes Bewusstsein, nämlich das des verhalten-frohsinnigen Stolzes, das den demokratischen Impetus wie auch einen gewissen Respekt umfasst.

Gebautes kann unmittelbar politisch sein

Eine Demokratie kann immer nur mit einer gewissen Indirektheit gedacht werden. 80 Millionen Menschen können sich nicht täglich selbst regieren, die meisten wollen es auch gar nicht. Demokratie bedarf der Repräsentation. Dies ist die funktionale Seite der repräsentativen Demokratie. Es gibt aber auch noch eine ideale Seite, und diese hängt mit dem Begriff der Repräsentation selbst zusammen. Regierungs-, Parlaments- und nicht zu vergessen die Justizarchitektur repräsentieren Ideen: Sie machen Unsichtbares sichtbar. Ideen sind zu Stein, Beton oder Glas geworden. Daher: Gebautes kann unmittelbar politisch sein. Nehmen wir das Reichstagsgebäude, speziell seine Kuppel, als Beispiel. Sie war schon bei ihrer Entstehung im späten 19. Jahrhundert umstritten. Da sie um einige Meter höher als diejenige des Stadtschlosses war, verhielt sich nicht zuletzt Wilhelm II. verstimmt. Er zeigte sich gegenüber einem Vertrauten stolz darauf, den Reichstagsbauarchitekten Paul Wallot in Unterredungen persönlich beleidigt zu haben. Den neuen Reichstag nannte er das „Reichsaffenhaus“, denn nicht nur er begriff sofort die politische Dimension der neuen, höheren Kuppel. Aber schon vorher hatten sich Fraktionen gebildet – im Rahmen der schon bestehenden: Die liberalen Fortschrittler, also die Vertreter der Demokratie, und die Anhänger des Freihandels wollten ein schlichtes „Arbeitshaus“, natürlich ohne Kuppel – die konservativeren Nationalliberalen und die Angehörigen des katholischen Zentrums einen repräsentativen Bau, so die Architekturhistorikerin Anna Teut. Die Konservativeren setzten sich durch. Dennoch wirkt diese Konstellation noch heute merkwürdig, weil ausgerechnet die Demokraten die Demokratie ohne jedes Pathos und nur zweckdienlich repräsentiert haben wollten.

Die Kuppel als sakrales Element der Herrschaft

Rund 100 Jahre später erregte die Kuppel wieder die Gemüter. Sie war durch den nie ganz aufgeklärten Brand des Reichstages im Jahr 1933 und die Bombardements des Zweiten Weltkriegs beschädigt und 1954 gesprengt worden. 1995 wurde entschieden, dass der Architekt Norman Foster gegen seinen ursprünglichen Willen eine Kuppel zu konstruieren habe. Die Vorgaben zu Fosters Kuppelentwurf stammten im Wesentlichen von dem architekturkundigen vormaligen Städtebauminister Oscar Schneider.
Eine Kuppel ist seit der Antike der Inbegriff des Hohen und Symbol für die Wölbung des Weltalls. Man könnte auch sagen: Die Kuppel verkörpert das Pathos der Architektur und repräsentiert das sakrale Element der Herrschaft. Paul Wallot liebte die römische Renaissance und den Petersdom, was man noch heute dem ganz unpreußischen Berliner Reichstagsgebäude ansieht. Das Bundeskanzleramt, dessen lichte Betonkonstruktion eine denkwürdige und erstaunliche Mischung aus moderner Privathausarchitektur – im Verhältnis 1:3 könnte man sich diese Anlage in jeder besseren deutschen Vorstadt vorstellen – und profanem Herrschaftsanspruch darstellt, konkurriert recht originell mit dem Reichstagsgebäude, das in seiner Fassade beansprucht, der Demokratie „geweiht“ zu sein und aus dessen Kuppel das Volk auf seine Vertreter herabblicken kann.
Wie auch immer: Eine Demokratie, die auf sich hält, sollte auf ihre Ästhetik achten. In Berlin ist dies gelungen.

Martin Thoemmes ist freier Journalist und Autor und lebt in Ostholstein.

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