Peter Zirkel Gesellschaft von Architekten (Dresden) mit Naumann Wasserkampf Architekten (Weimar)
Stadt Lützen
Fachplanende
Tragwerk: Engelbach + Partner, Dresden
Freianlagen: Station C23, Leipzig
2024
Lützen (Sachsen-Anhalt)
Beton (Leichtbeton, Normalbeton, Ortbeton, WU-Beton)
Monolithische Bauweise
Hannes Meyer Preis 2024, Anerkennung
„Nicht so ganz einfach.“ So könnte man die Aufgabe beschreiben, der sich die Büros Peter Zirkel aus Dresden und Naumann Wasserkampf aus Weimar im Wettbewerb 2017 stellten. Da sollte eine Kombination aus Gedenkstätte und Museum entstehen. Und zwar an einem Ort, der schon lange genau diesem Zweck dient – an dem aber jetzt ein Neubau geschaffen werden sollte für ein Exponat, das es so kein zweites Mal auf der Welt gibt.
Doch ganz von vorn. Im Jahre 1632 fand auf einem Feld beim Dorf Lützen eine der verlustreichsten Schlachten des 30-jährigen Krieges statt. Vermutlich überlebten um die 9000 Soldaten diesen Kampf nicht, darunter General Gottfried zu Pappenheim und der schwedische König König Gustav II. Adolf. Am Ort, an dem sein Leichnam gefunden wurde, stellte man schon sehr bald nach der Schlacht einen Findling auf. Gut 200 Jahre danach kam ein Baldachin dazu – entworfen von Karl Friedrich Schinkel – der fortan den Gedenkstein schützte und in gewisser Weise rahmte. Anfang des 20. Jahrhunderts liessen schwedische Stifter noch eine Kapelle bauen. Danach kamen im Abstand von fünfzig Jahren zwei schwedische Holzhäuser zum Ensemble dazu, in einem von ihnen ist bis heute ein kleines Museum eingerichtet. Das war die Gedenkstätte Lützen also in Summe: Ein Ort des Erinnerns, der zumindest baulich wenig Ruhe ausstrahlt.
Nun sollte eine weitere Ergänzung folgen, die als erster Kontaktpunkt für Besuchende dient und gleichzeitig Raum für ein weltweit einmaliges Exponat bietet: Ein Massengrab vom Schlachtfeld, in dem sich die Skelette von 47 Menschen befinden. Es wurde 2011 geborgen, in Halle/Saale umfassend untersucht und anschließend in zwei Ausstellungen in Halle sowie in Wien gezeigt.
Allein die Ausmaße des Exponats spannten einen Rahmen für den Entwurf auf: Es galt, Platz für zwei Blöcke von je 4x5 Metern Grundfläche zu schaffen – und Möglichkeiten, sie bei Bedarf auch wieder abzutransportieren. Denn rein rechtlich handelt es sich dabei um eine Leihgabe des Landes Sachsen-Anhalt an die Stadt Lützen, die das Museum betreibt.
Für dieses grossformatige Exponat wurde der Neubau geschaffen. Es lagert im Untergeschoss, nur durch ein Oberlichtband fällt etwas Tageslicht in den Raum, der im Halbdunkel bleibt. „Wir wollten einen nahezu sakralen Ort schaffen, der das Augenmerk auf die namenlosen Toten dieser Schlacht lenkt”, erläutert Gaby Heijltjes, projektverantwortliche Architektin im Büro von Peter Zirkel Architekten aus Dresden. Aus der gewünschten Ausstrahlung des Ortes, so erinnert sie sich, ergab sich auch die Entscheidung für Sichtbeton. „Es ist eine Gedenkstätte. Und für die Menschen, deren Überreste sich jetzt dort befinden, ist es eine Art Grabstätte. Es sollte etwas Monolithisches entstehen, das an eine Gruft, an etwas Erdiges erinnert.»
Aber nicht nur die Ausstrahlung des Materials war ein Argument für Beton als Baustoff. Auch funktional bot das Material hier eindeutige Vorteile, schildert Gaby Heijltjes – und spricht auf das gute Wärmedämm- und Wärmespeicherungsvermögen des Leichtbetons an, das auch ohne zusätzliche Dämmplatten überzeugt: „Die Innenraumtemperaturen verändern sich im Jahreslauf nur sehr langsam – für das Exponat sind das wirklich ideale Bedingungen.“ So muss im Sommer nur sehr selten die Klimatisierung dazugeschaltet werden; der Energieverbrauch im Betrieb liegt mithin vergleichsweise niedrig.
„Nicht so ganz einfach“ – so lässt sich auch das Planen und Bauen mit den verschiedenen Betonrezepturen beschreiben. Zuerst einmal mussten sämtliche Funktionen und Abläufe im Betrieb bereits bei der Planung bis ins Detail festgelegt werden, weil im Beton Platz für Leerrohre bleiben musste. Das Projekt bot keinerlei Raum für nachträgliche Korrekturen. „Das funktioniert nur, wenn die Abstimmung zwischen uns als Architektinnen und Architekten, den Fachplanenden und der Auftraggeberin gleichermaßen lückenlos funktioniert“.
Weiterhin gestaltete sich der Umgang mit dem doch sehr nassen Baugrund herausfordernd. Das Bodengutachten ergab, dass unter der Decke im Untergeschoss Grund- bzw. Schichtenwasser bis 50 cm anstehen könnte. In der Folge wurden alle erdberührten Bauteile aus WU-Beton und zusätzlich mit einer Frischbetonverbundfolie und als „Braune Wanne“ ausgeführt.
Auf das so erstellte Untergeschoss setzte das Team drei 75 Zentimeter starke und max. ca. 10 Meter hohe Außenwände aus gefügedichtem Leichtbeton. Die vierte Fassade ist durch die Pultform des Gebäudes nur etwa drei Meter hoch und vollständig verglast. Vorab hatten die Betonbauer zahlreiche Versuche unternommen sowie zwei Probewände aus dem Leichtbeton realisiert, es galt insbesondere, den Ansprüchen der Architektinnen und Architekten an die Optik der Gebäudehülle gerecht zu werden.
Und die Mühe hat sich gelohnt: Nach dem Ausschalen der fertigen Wände zeigten sich keinerlei Risse in den Oberflächen und nur vereinzelt musste kosmetisch behandelt werden. „Insgesamt erscheint der Beton sehr lebendig und warm”, fasst die Architektin zusammen. Dennoch ließ man ihn nicht gänzlich roh: „Wir wollten eigentlich das Gebäude etwas schwärzer haben, um die erdige und ruhige Ausstrahlung zu betonen.“ Während der Planungen war deshalb im Gespräch, den Beton selbst einzufärben. „Aber es bestand die Gefahr einer nicht ganz gleichmäßigen Farbgebung. Eine dunkle Lasur für den Beton erschien die beste Option. „Dadurch wurde die Oberfläche noch etwas homogener. Aber insgesamt erscheint mir dieses Gebäude so robust, so aussagekräftig und selbstbewusst, dass eine völlig homogene Oberfläche nicht das Wichtigste ist.“
Als wahrhaftes Experiment lässt sich das Betonieren des um 25 Grad geneigten Pultdaches bezeichnen. Die Unterkonstruktion samt Schalung hätte einem eventuellen Abrutschen standhalten müssen, falls der Beton nicht wie vorgesehen aushärtet. Geglättet wurde das Material hier mit zwei Walzen, die mittels Handkurbeln bedient werden mussten. Den Beton mit herkömmlichen Rüttelbohlen abzuziehen wäre aufgrund der Konstruktion hier nicht möglich gewesen.
Entstanden ist ein monolithischer Bau mit großen Ausdrucksqualitäten, bei dem der Fokus dank der reduzierten Oberflächen komplett auf dem Haupt-Exponat liegt. Zudem ist er nachhaltig, weil er auf eine extrem lange Nutzung angelegt ist. Die Gedenkstätte verwandelt abstraktes Wissen über den 30-jährigen Krieg – einen der blutigsten und längsten seiner Art in Europa – in konkrete Informationen über die Opfer. Sie macht den Ort damit zu einem echten Mahnmal für das Heute und das Morgen.
Bildnachweis: Fotos: Till Schuster
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