betonprisma 98: Investition

Investieren aus der Sicht des Unternehmers

Über ein Gespräch mit Dr. Christian Dräger

Was ist eine Investition? Eine Investition richtet sich immer an die Zukunft, die es wiederum an sich hat, unsicher zu sein. Eine Investition in die Vergangenheit gibt es nicht, weshalb die wohlfeile Formulierung, man investiere in die Zukunft, eine Tautologie darstellt. Die Investition ist, philosophisch betrachtet, eine Tochter der Sorge, die sich ja auch auf die Zukunft richtet. Investition bedeutet: Jetzt etwas auf’s Spiel setzen, das sich morgen oder übermorgen so rentieren soll, dass die Sorge abnimmt.

von Martin Thoemmes

Steht hinter der Sorge letztlich die Angst, so steht hinter der Investition der Mut, der versucht, diese Angst zu überwinden. Man veräußert heute etwas von seinem materiellen Besitzstand in der Erwartung, dass diese Veräußerung in Zukunft Früchte trägt, die alle vorgängigen Opfer lohnen und Gewinn bringen. Doch spätestens hier muss eine fundamentale Unterscheidung beachtet werden: Es gibt Investitionen der öffentlichen Hand und Investitionen von Firmen oder Privatpersonen, wobei wir hier nur von Realinvestitionen, das heißt Sachinvestitionen und nicht etwa von Finanzinvestitionen wie z.B. Beteiligungen, sprechen. Investiert die öffentliche Hand, geht es nicht nur um materiellen Gewinn. Aber Investitionen in die Infrastruktur und in die Bildung sollen später durchaus auch materiellen Zuwachs zeitigen und auf den Wohlstand der Gesellschaft zurückwirken. Investitionen von Unternehmen zielen direkter und zumeist kurzfristiger auf materiellen Gewinn.

Doch was ist zu beachten, wenn gut investiert werden soll, wenn private und öffentliche Aufträge ausgeschrieben werden? Über dies und anderes sprachen wir in Lübeck mit Christian Dräger. Er wurde 1961 von seinem Vater Heinrich in die Firma geholt. Später leitete er selber das Familienunternehmen als Vorstandsvorsitzender. Seit jetzt genau 125 Jahren entwickelt, produziert und vertreibt die Drägerwerk AG & Co. KGaA in Lübeck Geräte und Systeme in den Bereichen Medizin-, Sicherheits- und Tauchtechnik, heute mit ca. 10.000 Mitarbeitern weltweit. Sozusagen im Zweitberuf war und ist Christian Dräger ein fachkundiger Kunstsammler und hochherziger Mäzen.

Der freundlich zugewandte Hanseat mit dem manchmal schelmischen Blick lädt zum Tee in die geräumig rustikale Wohnküche seines Hauses, die Kekse hat seine Frau Gertrud gebacken.

Einst promovierte Dräger in München zum Thema „Über den angemessenen kalkulatorischen Gewinn bei öffentlichen Aufträgen“. Ein Ergebnis seiner Arbeit war, dass der in den Richtlinien formulierte Begriff „angemessener Gewinn“ in der betrieblichen Wirklichkeit „nicht konstruierbar“ und eigentlich auch sinnlos sei. Realistischer sei höchstens der Begriff des „Mindestgewinns“. Der kalkulatorische Gewinn werde oft nicht erreicht. In diesem Zusammenhang kommt Christian Dräger beispielhaft auch auf heutige Bauaufträge zu sprechen, die den ursprünglich kalkulierten Kosten- und Zeitrahmen mitunter sprengen und den Ruf von Bund, Ländern und Kommunen als Investoren leiden lassen. Christian Dräger weist darauf hin, dass gerade bei öffentlichen Investitionen auch menschlich-psychologisch einiges im Argen liegt – so wie er grundsätzlich meint, dass die meisten betrieblichen Herausforderungen auf personellen Problemen beruhen. Hier spricht der Unternehmer und auch Investor, als der Christan Dräger in den zurückliegenden Jahrzehnten natürlich die eine oder andere Erfahrung gesammelt hat.

Die schmerzlichen Fragen werden zu spät gestellt

Manche Unternehmen neigten dazu, so Christian Dräger, um einen dringend benötigten Auftrag zu erhalten, die von ihnen angebotenen Leistungen zu niedrig zu kalkulieren. Hier könnte man den Begriff des bereits erwähnten Mindestgewinns wieder zitieren. Aber auch Unkenntnis und wechselseitiges, nicht etwa vorsätzliches Unverständnis könnten gelegentlich eine Rolle spielen. Die Summe, die dann unter der Kalkulation stehe, wirke erfreulich niedrig, mithin attraktiv. Hier helfe nur hartnäckiges Nachforschen und Mitkalkulieren von Anfang an – gerade durch die Vertreter der öffentlichen Hand. Gleiches gelte für Unternehmen und jeden privaten Bauherren. Zwar hat das Drägerwerk dafür eine eigene Bauabteilung, aber dennoch neigt Christian Dräger nicht zu den oftmals so populären wie pauschalen Kritiken: „Die öffentlichen Bauämter sind zumeist genauso kompetent wie die Bauabteilungen privater Unternehmen. Das Problem aber ist manchmal das Stockwerk darüber, also die politische oder auch repräsentative Ebene“, so Dräger. Es mag vorkommen, dass von politischer Seite mit einem beeindruckenden und zukunftsweisenden Großprojekt geworben wird, in das zu investieren sich lohne – und dann auch darauf verwiesen werde, dass es gar nicht so teuer sei. Dabei verdränge man alle Risiken oder wolle diese erst gar nicht sehen. Verdrängt werde ebenso die Maxime, dass jetziger Ärger stets weniger schlimm ist als zukünftiger Ärger. Hier beklagt Christian Dräger insbesondere die Konfliktscheu gerade in der Anfangsphase vieler Projekte: Oftmals würden den Beteiligten nicht gleich zu Beginn die schmerzhaften Fragen gestellt. „Werden bestimmte Fragen nicht sofort formuliert, dann können die Kosten eines Projektes immens steigen.“ Dabei handele es sich zumeist nur um scheinbare Kleinigkeiten, die nicht hinreichend geklärt worden seien. Für den einen oder anderen öffentlichen Investor sei es aber vielleicht doch wichtiger, schon gleich am Anfang die guten Meldungen zu präsentieren.

Mitarbeiter von Unternehmen dagegen würden, so Christian Dräger, mit ihren Fehlentscheidungen oftmals stärker konfrontiert, „es sei denn, der Mitarbeiter steht kurz vor der Rente“, fügt Dräger schelmisch und nicht ganz ernst gemeint hinzu. Wobei Fehler natürlich auch für etwas nützlich sein könnten. Gerne erzählt er eine Anekdote aus dem Betriebsleben: Ein verdienter leitender Mitarbeiter scheidet aus dem Unternehmen aus. Bei der Verabschiedung erzählt er sichtlich stolz, er habe sich in den letzten zehn Jahren keinen einzigen Fehler zu Schulden kommen lassen. „Da sagte ich, das sei aber schade, denn dann habe er in den letzten zehn Jahren ja auch nichts mehr gelernt.“

Für Christian Dräger ist nicht fehlender Sachverstand bei Fachleuten Grund für so manche Fehlentwicklung bei Investitionen, sondern es sind eher die menschlichen Schwächen – wie Eitelkeiten, Konfliktscheu oder Verdrängung. Diese Faktoren aber sind bei Entscheidungsprozessen von besonderer Relevanz: Logische Fehler kann man schlicht beseitigen, menschliche Schwächen nicht. Wer jetzt Christian Dräger für einen notorischen Bedenkenträger hält, der irrt jedoch. Unverdrossen bekennt er sich zum Risiko: „Risikolose Investitionen befördern keine großen Ergebnisse. Das gilt für Forschungsinvestitionen wie auch für Bauinvestitionen.“

Schon der Vater Heinrich Dräger war Befürworter der antizyklischen Konjunkturpolitik

Auf den menschlichen Faktor treffen wir im Gespräch mit Christian Dräger auch, als wir über eher makroökonomisches Investieren sprechen. Hier spielte der englische Volkswirtschaftler John Maynard Keynes eine wichtige Rolle. 1936 erschien sein einflussreiches Buch „General Theory of Employment, Interest and Money“. In seinem Werk befürwortete Keynes, dass in Zeiten, in denen es der Wirtschaft schlecht gehe und die Arbeitslosigkeit hoch sei, die öffentliche Hand in Projekte – insbesondere Bau- und Infrastrukturprojekte – investieren müsse, die der Allgemeinheit zugute kommen, die Arbeitslosigkeit senken und die Wirtschaft allgemein in Schwung bringen sollten – eben damit es den Menschen besser ginge und sie sich wohlfühlten.

Nun gab es aber in Deutschland einen ganz besonderen „Keynes vor Keynes“, nämlich Drägers Vater, den Unternehmer und volkswirtschaftlichen Publizisten Heinrich Dräger. Dieser forderte während der Weltwirtschaftskrise von der damaligen Regierung, massiv in Infrastrukturen zu investieren und den sterilen Spar- und Deflationskurs aufzugeben. Wie wir wissen, stieß er auf taube Ohren – mit verheerenden Folgen. Heinrich Dräger hatte allerdings, wie später auch Keynes, seinen Vorschlag so gemeint, dass in Zeiten wieder gesundeter Konjunktur der Staat sich als Investor zurückzuziehen habe und Schulden wieder abbaue. Spätere Regierungen, die diesem Rezept folgten, taten sich mit dem zweiten Teil des antizyklischen Konjunkturrezeptes schwer. Sparen in guten Zeiten, so meint Christian Dräger, sei für den Menschen eben einfach sehr unbequem. Eine weitere menschliche Schwäche, die die Wirksamkeit auch der guten Theorien beschränkt.

Als ich Christian Dräger frage, ob seine vielen Kunstankäufe auch als Investition zu verstehen seinen, lacht er nur kopfschüttelnd: „Nein! Mein Großvater liebte Hirschgeweihe an der Wand, ich eben Bilder.“ Er untertreibt gerne und zeigt doch: Es gibt Leidenschaften, die sich jeder gewinnbringenden Kalkulation entziehen.

Martin Thoemmes ist freier Journalist und Autor. Er lebt in Ostholstein.

Dr. Christian Dräger wurde 1934 als Sohn des Lübecker Unternehmers Dr. Heinrich Dräger in Berlin geboren. Dräger studierte Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte in Wien und München, wo er auch promovierte. 1961 trat er in Lübeck als Leiter der betriebswirtschaftlichen Abteilung in das familieneigene Drägerwerk ein. 1970 wurde er Mitglied des Vorstandes, 1984 übernahm er von seinem Vater Dr. Heinrich Dräger den Vorsitz des Vorstandes. Mit dem nächsten Generationswechsel in der Familie Dräger trat er später in den Aufsichtsrat des Unternehmens ein, bis vor Kurzem leitete er die Dräger-Stiftung, die sich für die globale Ressourcensicherung, Fortbildung und kulturelle Projekte engagiert.

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